Motorboot „Charlotte“

Die antifaschistische Erholungs- und Begegnungsstätte Heideruh: Ein sicherer und würdiger Hafen für Motorboot „Charlotte“

Im Juni 2016 war es endlich soweit: Das Motorboot „Charlotte“ konnte erfolgreich nach Heideruh transportiert und dort aufgestellt werden. Zu ihrem Schutz wurde ein Unterstand errichtet. Mit zwei arbeitsreichen Wochenenden im Geiste solidarischer Zusammenarbeit vieler Beteiligter endete eine langjährige Odyssee für dieses historische Motorboot, für die 100jährige „Charlotte“.

Wie kommt ein Motorboot, Teil einer Gedenkstätte in Ziegenhals, südöstlich von Berlin, im Land Brandenburg in die Nordheide, nach Heideruh, im Land Niedersachsen?

Darüber soll dieser Text (vom Freundeskreis 2016 als Broschüre herausgegeben) Auskunft geben.

Das Motorboot „Charlotte“ ist Teil der „Ernst-Thälmann-Gedenkstätte“ in Ziegenhals, bei Königs Wusterhausen. Diese Gedenkstätte ist dem ersten organisierten Widerstand gegen das Naziregimes gewidmet. Im „Sporthaus Ziegenhals“ fand am 7. Februar 1933, eine Woche nach der Machtübergabe an Adolf Hitler (30. Januar 1933) eine Tagung des Zentralkomitees (ZK) der Kommunistischen Partei Deutschlands, KPD, statt. Dort sprach Ernst Thälmann, Vorsitzender der KPD, letztmalig vor diesem Gremium bevor er am 3. März 1933 verhaftet und nach 12 Jahren Folter und Einzelhaft am 18. August 1944 im Konzentrationslager Buchenwald ermordet wurde.

Abb. 1: Schild auf dem Boot „Charlotte“ mit Daten zum Baujahr und zur Restauration (Quelle: Archiv des Freundeskreises Ernst Thälmann)
Abb. 2: Schild auf dem Boot „Charlotte“ mit Daten zum Baujahr und zur Restauration (Quelle: Archiv des Freundeskreises Ernst Thälmann) 
Abb. 3: Das Boot „Charlotte“, 2007 in Ziegenhals (Quelle: B. Lange, ND vom 16.7.2016)

Steckbrief Motorboot „Charlotte“

Baujahr: 1916 Restauration: 1978/79 – 1982 Gewicht: 1,3 Tonnen

Länge: 9,20 m Schiffsrumpf: Stahl Antrieb: Dieselmotor

Geschichte des Motorbootes „Charlotte“

Abb. 4: Das Motorboot „Charlotte“ in Heideruh – Juni 2016 (Quelle: Archiv des Freundeskreises Ernst Thälmann).

Das Motorboot „Charlotte“ wurde 1916 gebaut und gehörte zu der kleinen Schiffsflotte der „Sportgaststätte Ziegenhals“. Die Sportgaststätte, bzw. das „Sporthaus Ziegenhals“ (auch „Sporthaus Mörschel“ genannt) wurde ca. um 1900 in Ziegenhals am Großen Zug, das den Krossinsee mit dem Zeuthener See verbindet, errichtet. Besitzer des zweistöckigen Ziegelbaus mit einem kunstvollen Fachwerkobergeschoss war Karl Mörschel.

Dieses Lokal und Restaurant war Treffpunkt (für Versammlungen von Parteien und Verbänden der Arbeiterbewegung, für Sportvereine u.a.), Ausflugsziel für Sportgruppen und Familien sowie Freizeitstätte zum Tanzen, Kegeln und Billardspiel. Das Boot „Charlotte“ war ein Übersetz- und Fährboot aus Stahl mit einem Einbaumotor der mit Dieselreibstoff betrieben wurde.

Abb. 5: Fotografien der beiden Gaststätten-Betreiber Paula und Wilhelm Mörschel (Quelle: Die illegale Tagung des ZK der KPD, Dietz-Verlag, 1980)

Wilhelm Mörschel (Sohn von Karl Mörschel) und seine Frau Paula betrieben die Sportgaststätte weiter und gewährten am 7. Februar 1933, dem ZK der KPD in ihrem Sporthaus illegal zu tagen. Nach bisherigem Kenntnisstand war Wilhelm Mörschel Mitglied der KPD seit ihrer Gründung.

Abb. 6: Das Grundstück in Ziegenhals-Niederlehme mit Bootsunterstand für „Charlotte“ und dem 1959 errichteten Flachbau, in dem sich die Gedenkstätte (Gedenkzimmer und Tagungsraum) sowie der Große Saal der Gaststätte befand (Quelle: googleearth, 2009 – nachbearbeitet)

Am 7. Februar 1953 wurde die „Ernst-Thälmann-Gedenkstätte“ im „Sporthaus Ziegenhals“ eingeweiht. Das Sporthaus war jedoch durch Krieg und Kriegsfolgen arg in Mitleidenschaft gezogen. Wegen Baufälligkeit musste das alte Sporthaus Mitte der 50er Jahre abgerissen werden. An seiner Statt wurde 1959 ein moderner Flachbau errichtet, der sowohl Platz für eine Gaststätte bot.
Ein Gutachten aus dem Jahre 2004 der unteren Denkmalschutzbehörde Brandenburgs enthält zum Boot „Charlotte“ folgende Informationen: „Nach verschiedenen Aussagen soll das 1916 gebaute Boot, mit dem einige Tagungsteilnehmer am 7.2.1933 über den See setzten, nach 1945 unter Wasser gelegen haben und dann durch Arbeiter des VEB Schwermaschinenbau „Heinrich Rau“ Wildau gehoben und repariert worden sein. Witterungseinflüsse und unsachgemäße Pflege führten zu einer dramatischen Verschlechterung des Erhaltungszustandes, so dass Ende der 70er Jahre eine Fachbegutachtung des denkmalgeschützten Bootes durch einen Schiffsbauingenieur in Auftrag gegeben wurde. Dessen abschließende Empfehlung, das 9,20 m lange, 1,70 m breite und 0,80 m hohe Boot vollständig zu verschrotten und durch einen Nachbau zu ersetzen, wurde jedoch durch das Institut für Denkmalpflege abgelehnt. Stattdessen wurde von den Bootswerften Dolgenbrodt und Ziegenhals sowie des VEB Yachtwerft Berlin eine Restaurierungskonzeption erarbeitet. Diese Konzeption unter denkmalpflegerischen Gesichtspunkten wurde 1982 realisiert.“

Bis zum Jahr 2010 stand das Boot „Charlotte“ unter einem mit Schilf überdachten Bootsunterstand. Im Jahre 2009 wurde es widerrechtlich vom Grundstück entfernt. Dem voran gegangen waren, unter dem Ausschluss der Öffentlichkeit und des Freundeskreises „Ernst-Thälmann-Gedenkstätte“ e. V., Ziegenhals, Verhandlungen zwischen dem Bürgermeister der Stadt Königs Wusterhausen Stefan Ludwig (Partei Die Linke) und Gerd Gröger (Ministerialbeamter des brandenburgischen Bauministeriums), der das Grundstück mitsamt Gedenkstätte unter dubiosen Umständen im Jahr 2002 ersteigerte. Das Auktionshaus Karhausen, das im Auftrag der Treuhandliegenschaftsgesellschaft (TLG) die Auktion durchführte wird inzwischen von dem selben Gerd Gröger geleitet. Dieser ersteigerte in einer vorgezogenen Auktion, trotz höherer Gebote Dritter im Vorfeld, das über 5000 Quadratmeter große Seegrundstück mit einer denkmalgeschützten Gedenkstätte für den Spottpreis von 86.000 Euro.

Nachdem das gesamte denkmalgeschützte Inventar, Boot „Charlotte“ und alle Exponate durch den Bürgermeister von KW, Herrn Ludwig (PDS/Die Linke), abtransportiert wurde, waren die Voraussetzung geschaffen, dass die Gedenkstätte im Jahr 2010 im Auftrag von Gerd Gröger abgerissen werden konnte – gegen den Protest Tausender Menschen aus dem In- und Ausland, trotz Unterschriftensammlungen und gerichtlichen Klagen gegen den Abriss.

Abb. 7: Das Motorboot „Charlotte“ auf dem städtischen Gelände der Karl-Marx-Str. 32 in Niederlehme, nachdem es von Aktivisten des Freundeskreises durch eine Plane geschützt wurde (Quelle: Archiv des Freundeskreises ETG Ziegenhals).

Gelagert wurde das Boot „Charlotte“ und die Exponate der Gedenkstätte in der Karl-Marx-Str. 32 in Niederlehme. Die Ausstellungsstücke wurden in einen Raum verschafft, während zunächst das denkmalgeschützte Boot „Charlotte“ unsachgemäß und den Wetterbedingungen ungeschützt ausgeliefert, ohne Schutz auf demselben Gelände abgestellt wurde. Erst zunächst durch Proteste des Freundeskreises und schließlich durch die eigene Anbringung von wasserabweisenden Planen, konnte das Boot „Charlotte“ geschützt werden. Einige Schäden trug es, durch den ungenügenden Schutz des Bootes durch die Stadt Königs Wusterhausen, dennoch davon.

Abb. 8: „Charlotte“ vor ihrer Unterbringung in einem Hangar auf einem Gelände in der Nähe von Strausberg(Quelle: Archiv des Freundeskreises ETG Ziegenhals)

Nachdem der Freundeskreis in langwierigen Verhandlungen mit der Stadt Königs Wusterhausen und dem neuen Bürgermeister Lutz Franzke (SPD) sein Eigentum, also alle Exponate und das Boot „Charlotte“ wieder zurück in seinen Besitz nehmen konnte, wurde das Boot zunächst in der Nähe von Strausberg geschützt im Freien, bald darauf in einem Hangar untergestellt.

Im Juni 2016 konnte das Boot „Charlotte“ erfolgreich nach Heideruh in der Nordheide transportiert werden. Damit endete die lange Odyssee des Bootes „Charlotte“ an einem würdigen Ort, der es erlaubt, dass das Boot nun endlich wieder der Öffentlichkeit zugänglich ist.

Abb. 9: Motorboot „Charlotte“ kurz vor ihrer Ankunft auf dem Areal der antifaschistischen Erholungs- und Begegnungsstätte Heideruh in der Nordheide (Quelle: Archiv des Freundeskreises ETG Ziegenhals).
Abb. 10: Das Motorboot „Charlotte“ auf dem Areal der antifaschistischen Erholungs- und Begegnungsstätte Heideruh in der Nordheide (Quelle: Archiv des Freundeskreises ETGZ)

Streiflichter der antifaschistischen Erholungs- und Begegnungsstätte Heideruh

aus der Broschüre: „Dass niemals geschehe, was gestern geschah“, ISBN 978-3-00-040914-1

(…) „Das exakte Baudatum des ersten Gebäudes auf dem heutigen Gelände von Heideruh, dem so genannten Holz-haus, ist nicht belegt. Vermutlich wurde das Holzhaus … um 1923 … errichtet. Tatsächlich wurde das Haus Ende der 1920er bzw. Anfang der 30er Jahre von einer kom-munistisch geprägten Hamburger Widerstandsgruppe genutzt.“ 

(…) „wurde Heideruh von Ernst Gustav Ludwig Stender und antifaschistischen FreundInnen gekauft. Ernst Stender war ab 1922 Mitglied der KPD und seit 1933 aktiv im Widerstand tätig, gehörte zur „Arbeitstheater-Gruppe““ (…) „er war verantwortlich für den U-Apparat des Hamburger KPD-Widerstandes (…)“

Heideruh muss unmittelbar mit oder kurz nach der Befreiung wieder in Besitz von diesen ehemaligen politischen WiderstandskämperInnen gekommen sein. Im Winter 1945/1946 kam Heideruh in den Fokus der FDJ,“ ( (…) „die im November 1945 offiziell von der britischen Militärregierung und dem Hamburger Senat zugelassen worden war).“ (…) „Seit 1946 wurde Heideruh als Jugend-heim der FDJ mit Platz für 20 Jugendliche genutzt.“

(…) „Am 1. November 1947 konnte Heideruh zusätzlich als erste Jugendleiterschule der FDJ in der britischen Zone eingeweiht werden.“( …) „Am 26.06. 1951 erfolgte“ ( …) 2 „das Verbot der FDJ in der Bundesrepublik.“ (…) „Nach dem Verbot von VVN und FDJ musste eine Genossenschaft als neue Trägerin gegründet werden, (die Genossenschaft existierte als „Erholungsheim Seppensen“ von 1951-1958).

Am 16.03.1958 (…) fand die (…) Gründungsveranstaltung des neuen Vereins „Wohn-und Ferienheim Heideruh e.V. statt.